22. Dezember im Advent - vierter Adventssonntag

Maria und Elisabet

Das Magnificat - Meine Seele preist den Herrn!

Das ist menschlich: Uns stellen sich immer wieder drängende und brennende Fragen, auf die wir kaum Antworten finden und die uns nicht loslassen. Es sind Fragen, die aus den mit-leidenden Begegnungen mit den Menschen in Madagaskar in ihrem Elend aus Hunger, Armut und Ausbeutung erwachsen. Was muss geschehen, damit sich die leidvolle Lebenssituation der Menschen in Madagaskar verbessert? Was setzen wir der globalisierten Gleichgültigkeit (Papst Franziskus) entgegen? Wie brechen wir die Macht derer, die auf den Thronen der Wirtschaftskonzerne sitzen? Welche Mächtigen bestimmen die Regeln des Welthandels? Wie brechen wir die Willkür und Raffgier korrupter Politiker:innen und Eliten im Land?

Im Magnificat heißt es: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen.“ Es fällt schwer, mit in diesen adventlichen Lobpreis Marias (Das Magnificat, Lk 1, 46-55)) über ihren noch nicht geborenen Sohn einzustimmen. Ist alles ohne Hoffnung?

Wir verstehen das Magnifikat als ein Revolutionslied zweier schwangerer Frauen, die sich in einem abgelegenen Dorf, fern der römischen Besatzungsmacht, im Bergland Judäas trafen und sich freuten, dass „er die Hungernden beschenkt mit seinen Gaben und die Reichen leer ausgehen lässt“. Die mit dem Erlöser schwangere Frau kann nicht lesen und nicht schreiben. Sie darf in der Synagoge nicht sprechen. Aber diese Frau erhebt ihre Stimme und singt das Lied der göttlichen Revolution: das Magnificat.

Wir müssen auch nicht hüpfen wie „das Kind im Leibe“ (Lk 1,44) oder tanzen und singen, wie es die beiden Frauen vielleicht getan haben, angesichts der aussichtslosen Situation der Menschen Madagaskars. Es darf uns schwerfallen!
Es fällt auch schwer, diese adventliche Botschaft – das erste Adventslied der Kirche - zu verstehen, wenn wir unsere Häuser und Straßen mit LED-basierten Lichtshows durchfluten, um die Dunkelheit zu verdrängen. Eigentlich brennt in der Adventszeit sichtbar nur eine ganz kleine Kerze – aber das Dunkel bleibt im schwachen Schein dieser kleinen Kerze ebenso sichtbar. Die dunkle Zeit des Advents bildet unsere eigene Wirklichkeit ab und drängt in unsere Herzen. 

Tanzende Frauen von Iray AinaTanzende Frauen von Iray Aina: Vielleicht sollten wir preisen und singen? So wie es Maria und Elisabet getan haben – nicht um unsere kindliche Angst beim Gang in einen dunklen Keller zu besiegen. Singen wir gegen das Dunkel, singen wir gegen Unrecht an und singen wir über „die Hoffnung, die in uns ist“ ( 1. Petrus 3,15 ). Singen über das göttliche Versprechen vom Guten Leben, das er uns verheißt.

Schließlich ist das Magnifikat ein Loblied, gesungen von zwei machtlosen Frauen. Vielleicht vertreiben wir die Mächtigen von ihren Thronen, wenn wir singen wie tausende Frauen „Brot und Rosen“ sangen bei ihren aussichtlos scheinenden Streiks der Textilarbeiterinnen 1912 in Massachusetts.

Ein lautes widerständiges NEIN singen gegen die sichtbare und unsichtbare Herrschaft der Mächtigen. Ein lautes JA singen, um Gottes Proklamation, dass die Herrschaft der Throne und der Mächtigen nicht das Ende ist, ein Gewicht zu geben.

Wir vertreiben die Mächtigen und die korrupten Eliten von ihren Thronen! Sie hören die Frauen schon singen! Singen auch wir wie unsere Freundinnen in Madagaskar in der Hymne von Iray Aina: “Steht auf, lasst uns gehen (Joh 5,8). Oh Gott, schaue auf unsere Anstrengungen. Segne sie, damit wir befreit sind und gut leben können.“ Die singende Maria steckte Elisabet an und auch das ungeborene Kind, das Jesus (Jeschajahu: Gott befreit) heißen und in der übernächsten Nacht geboren wird. Singen steckt an und befreit! Dietrich Bonhoeffer drückt es für uns aus:

„Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht.“

Heute | Sambava | Ausschnitt eines Gottesdienstes am 4. Adventssonntag mit Bischof Marc Ramaroson